Von Miklos Muhi
Schon im Kindergarten waren Dieters erfolgversprechende Fähigkeiten in Erscheinung getreten. Die überforderten Erzieherinnen nahmen ihm meistens ab, dass er als Nächstes mit dem Bobbycar-Fahren oder womit auch immer dran war. Sein Heulen auf Kommando eignete sich ausgezeichnet, um die eigenen Ansprüche zu bekräftigen.
Nicht, dass er zu Hause nicht genug Spielzeug gehabt hätte. Sein Spielzimmer war voll mit den rarsten und teuersten Spielsachen, von denen andere Kinder nicht einmal zu träumen wagten.
Es war genug für zahlreiche Kindheiten da, doch ständig kamen weitere dazu.
Die Neuzugänge stammten nicht nur aus Boxen, gebracht von Kurieren diverser Lieferdienste, die sich die Klinke in die Hand gaben. Einige tauchten in der Buchhaltung des Kindergartens als Verlust oder Schwund auf und belasteten weiter das knappe Budget. Es gab gelegentlich Tränen von anderen Kindern, die ihr Lieblingsspielzeug, das ihre Eltern sich nicht zu leisten vermochten, nicht mehr fanden.
Die Stücke, auf die Dieter Anspruch erhoben hatte und die er mitgehen ließ, waren mit Kratzern, Beulen und Tupfen von Fingerfarben übersät und scheuten den Vergleich mit den Glanzstücken in seinem Spielzimmer. Deswegen rührte er sie, nachdem er sie achtlos abgelegt hatte, nie wieder an.
Während seiner Schulzeit bezahlten seine Eltern einen Privatlehrer, der für einen ausgezeichneten Nebenverdienst bereit war, Dieters Hausaufgaben vorzubereiten. Ihm blieb lediglich die lästige Aufgabe des Abschreibens übrig. In der Schule wunderte man sich über die Qualität, die er abgeliefert hatte. Auf Nachfrage versicherte er seinem Lehrer immer wieder, dass er alles allein zustande gebracht hatte.
Was das Lernen betraf, war Dieter wählerisch. Langweilige Teile übersprang er und das blieb nicht ohne Folgen. Seine diesbezüglichen Leistungen standen in einem krassen Gegensatz zu seinen überdurchschnittlichen Hausaufgaben.
Sein Lehrer bat deswegen Dieters Eltern, in die Schule zu kommen. Er versicherte Mutter und Vater, dass er sich doll anstrengte, aber man ihn schlichtweg nicht mochte.
Nach dem Besuch der Eltern endeten sämtliche Probleme und Beschwerden. Der unterbezahlte Lehrer fuhr bald eine teure Luxuskarosse und bereiste in den Ferien die ganze Welt.
Der Schwund begleitete ihn weiterhin. Ein Bleistift des Tischnachbarn, der im Laden für wenige Cents zu haben war, erschien genauso verlockend, wie manches Pausenbrot und das alte, aus dem zusammengesparten Taschengeld gebraucht gekaufte Handy. Alles kam in den Mülleimer oder in die Schubladen seines Schreibtisches und blieb da unberührt.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Dieter in Verdacht geriet und erwischt wurde.
Er versicherte seinen Eltern, dass er unschuldig sei. Seine Mutter und sein Vater griffen zum Telefon. So blieb die ganze Affäre ohne jegliche Folgen. Dieter setzte seine Anschaffungen ungehindert fort.
Im Gymnasium stand ihm ein beträchtliches Taschengeld zur Verfügung. Freunde waren für Geld zwar nicht zu haben, dafür aber eine ganze Armee habgieriger und williger Idioten, die geschwind lernten, welches Verhalten die Moneten brachte.
Dieter hatte zahlreiche Freundinnen gleichzeitig, deren Interesse in erster Linie durch seine berechnete Großzügigkeit geweckt worden war. Ursula hingegen, eine Schülerin, die in einem religiösen Haushalt mit Prinzessinnenfilmen und Telenovelas aufgewachsen war und die noch nie ein Junge zu einem Rendezvous eingeladen hatte, hatte weitreichendere Pläne.
Für sie war seine Arroganz das Anzeichen von Reife. Das Geld, mit dem er um sich warf, war ein Hinweis auf ein bequemes Leben, an dem sie teilhaben würde. So wäre sie endlich aus den Fängen ihres Vaters, des scheinheiligen Trinkers und Schlägers, und ihrer teilnahmslosen Mutter befreit. In Dieters gierigem Gefolge sah sie einen Freundeskreis, der Farbe in ihre gemeinsame Zukunft bringen würde.
Zuerst war er von ihrem Interesse genervt. Dann erkannte er die eigenen Vorteile ihres verzweifelten Strebens, endlich einen Freund zu haben, koste es, was es wolle.
Seine anderen Mädchenbekanntschaften waren sexuell aufgeklärt, im Gegensatz zu Ursula, deren Eltern das wegen der Gefahr, dass die so gewonnenen Erkenntnisse ihre Tochter zu Sünden verführen würden, ablehnten.
Es kam zu zahlreichen Rendezvous. Ihr Glück, das hauptsächlich auf der Einbildung beruhte, seine Freundin und zukünftige Braut zu sein, blendete sie dermaßen, dass sie sich entschied, seine Untreue und sein schäbiges Verhalten zu übersehen, um ihn nicht zu verlieren. Er lernte, was und wann er zu sagen hatte, damit Ursula aus diesem Fiebertraum nicht aufwachte.
Nach ihrem ersten Mal mit ihm war sie kaum in der Lage, das eigene Glück zu fassen, obwohl Dieter im Horizontalen eklatant egoistisch mit ihr war.
Am Tag, an dem sie ihm das Stäbchen mit zwei rosa Linien zeigte, endete ihr Traum vom Prinzen im weißen Sportwagen. Dieter schrie sie an, ihn in Ruhe zu lassen, und sprach nicht mehr mit ihr.
Seine Eltern hörten nur die Geschichte über die kleine Schlampe, die ihm nachstellte, nur hinter seinem Geld her war und sich von wer-weiß-schon-wem schwängern ließ, nur damit sie mehr aus ihm herausbekam.
Ursula kam nicht mehr zur Schule. Keiner hatte die leiseste Ahnung, was mit ihr passiert war. Ihr Klassenlehrer fing an, Fragen zu stellen und nachzuforschen.
Sobald die Lehrkraft zu nah an die Wahrheit kam, erzählte Dieter seinen Eltern, dass der Mann sich ihm sexuell genähert und versucht hätte, ihn zu verführen und, da er nicht darauf einging, zu vergewaltigen.
Bald kam der Lehrer nicht mehr zur Arbeit. Er wurde zwar nach Jahren juristischen Tauziehens freigesprochen, aber keiner war bereit, ihn auf Posten, an denen man mit Kindern arbeitete, einzustellen. Bei der Stadtreinigung war man dagegen nicht so wählerisch.
Dieter schaffte Abitur und Studium mit Links. Mit der Hand übergab er die Umschläge mit den kleinen bunten Schutzbriefen mit Zahlen darauf an die zuständigen Personen. Wer seine Geschenke nicht annahm, war bald anderweitig beschäftigt.
*
Das Licht der Julisonne erhellte den Büroraum. Die dazugehörige Hitze, die die Menschen auf den Straßen lebendig zu braten drohte, blieb draußen. Die Klimaanlage schuftete hart und leise, damit Dieter, trotz modischen Dreiteilers nicht ins Schwitzen geriet.
In einer halben Stunde würde er am Ziel sein.
Seine Eltern hatten ihm gezeigt, wie man zielstrebig durchs Leben wanderte. Ihr tragisches und plötzliches Dahinscheiden brachte ihm die alleinige Verfügung über die nötigen und üppigen Mittel und Beziehungen, um alles Mögliche zu erreichen.
Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Erinnerungen. Er holte einen Geldschein aus der Tasche, rollte ihn zu einem Röhrchen, und zog die zwei weißen Linien Pulver, die vor ihm auf dem Tisch lagen, in die Nase auf. Danach steckte er die Banknote ein.
»Herein!«
Die Tür öffnete sich und sein Privatsekretär, Herman, mit dem er zusammen das Gymnasium besucht hatte, trat ein.
»In zehn Minuten fängt die Vereidigung an, Herr Staatssekretär, oder kann ich dich schon mit Herr Minister anreden?«
»Bald. Jetzt auf zur blöden Zeremonie. Danach wird gefeiert!«, antwortete Dieter.
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